Interferenzen – Auskünfte aus dem Gedächtnis einer slowenisch-deutsch schweigenden Familie

Texte & Fotos: Petra Kohlenprath Improvisationen am Flügelhorn: Fredi Lang
2015




Freitag, 6. November 2015
19 Uhr
Eröffnung Text und Fotoinstallation, Lesung, Improvisationen

Lesung: Petra Kohlenprath
Auskünfte aus dem Gedächtnis einer slowenisch-deutsch schweigenden Familie, Petra Kohlenprath
Improvisationen am Flügelhorn: Fredl Lang



Samstag, 7. November 2015
16 bis 19 Uhr
Audioinstallation: Auskünfte aus dem Gedächtnis einer slowenische-deutsch schweigenden Familie

17 Uhr
Impulsreferat

Erinnerungskultur in Österreich am Beispiel KZ Loibl Nord, Dr. Peter Gstettner


Sonntag, 8. November 2015
16 bis 19 Uhr
Audioinstallation: Auskünfte aus dem Gedächtnis einer slowenische-deutsch schweigenden Familie
Text- und Fotoinstallation: Die Slowenische Volksgruppe in Kärnten, KZ Nebenstellen Mauthausen Loibl Nord


 
RHIZOM
Palais Attems, Sackstraße 17
8010 Graz
T 0699 19 265 365


Mit Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Graz, der Kulturabteilung des Landes Steiermark und des Bundeskanzleramtes – Sektion 2 Kunst


INTERFERENZEN verstehen sich als zeitlich und örtlich unbegrenztes Projekt in einzelnen Episoden. Gearbeitet wird „mit dem Gedächtnis“, dem von Menschen, dem von Orten und Gegenständen. Ziele sind Bewusstseinserweiterung, Sprachfindung und Erlangung von Handlungsfähigkeit durch das Verbinden von bisher in dieser Form oder diesem Ausdruck nicht wahrgenommenem. Identitätsstiftung. In diesen Prozess wird das Gedächtnis der Orte und Gegenstände – ihr Vermögen, die Gegenwart der Vergangenheit zu bezeugen mit einbezogen und durch die Überlagerung mit der Gegenwart der Gegenwart verändert.
 

INTERFERENZEN, 6. – 8. November 2015

Auskünfte aus dem Gedächtnis einer slowenisch-deutsch schweigenden Familie

Petra Kohlenprath beschreibt in ihren autobiografischen Erzählungen anhand von Gegenständen und scheinbar unbedeutenden Ereignissen ihre Sozialisierung und das Heranwachsen zwischen den Polen der familiären Identitätssuche und dem von Mythen und Legenden geprägten Geschichtsverständnis der Kärntner Bevölkerung in den 70iger und 80iger Jahren. Ihr Großvater hatte sich 1944 den Partisanen angeschlossen, wurde verhaftet und wartete dreieinhalb Monate im Straflandesgericht Graz auf seine Hinrichtung. Er entkam der Vollstreckung des Todesurteils.

Das Flügelhorn
Seit sie denken kann liegt das Flügelhorn am Wohnzimmerschrank ihrer Eltern in Ferlach. Man hat es ein, zweimal im Jahr aus dem Stoffsackerl genommen und die Kinder durften versuchen es zum Klingen zu bringen. Woher es stamme? Ihr Vater erzählt: Vom Rückzug. Nach Kriegsende, bevor man die Grenze zu Jugoslawien endgültig schloss seien zehntausende Menschen aus dem Süden kommend, über den Loiblpass Richtung Norden gezogen – das Tal wäre voll gewesen, mit Menschen die ihr ganzes Hab und Gut bei sich trugen, Holzkarren - im Stau. „Alles“ sei liegengeblieben. Geschirr, Möbelstücke. So auch dieses Flügelhorn.
2015: Seit mehr als 20 Jahren hatte sie das Instrument nicht mehr in der Hand. Es kommt ihr während der Arbeit zum aktuellen Text in den Sinn, ja es war noch immer am Wohnzimmerschrank. Am Instrument liest sie zum ersten Mal bewusst die Gravur: Musikhaus Horn, Apatin. https://de.wikipedia.org/wiki/Apatin : Stadt in der Vojvodina, Serbien. Apatin hatte im Jahre 1820 bereits 5.389 Einwohner, darunter 5.316 Deutsche. 1881 zählte man 11.973 Einwohner (…). Bis 1944 war Apatin mit rund 14.000 Bewohnern die größte deutsche Gemeinde in Jugoslawien.


Petra Kohlenprath, auf die Frage wo denn ihre Wurzeln seien:

Sie stamme aus einer österreichischen Familie. Ihr Vater ist 1939 in einer slowenisch sprechenden Familie in Loibltal/Brodi geboren und heiratete 1966 ihre aus dem damaligen Jugoslawien, heute Slowenien, stammende Mutter. Sie hat keine Erinnerung dran, ob denn die Eltern „mehr slowenisch“ oder „mehr deutsch“ mit ihr gesprochen hätten. Es waren im Alltag, ob zu Hause oder in der Öffentlichkeit, immer beide Sprachen präsent. Kulturelle Tätigkeiten (Chor, Musikschule, Theater) und Kirche waren aber immer slowenisch besetzt, wie auch die Wochenendausflüge nicht in österreichische Gegenden stattfanden, sondern ins damalige Jugoslawien führten. Warum sie denn nicht ins slowenische Gymnasium ginge, dafür musste sie sich regelmäßig vor Schulkollegen und sie fragende Erwachsene, rechtfertigen – auch vor Angehörigen der slowenischen Minderheit. Sie ist mit dem Anderssein (sowohl auf der „Mehrheits-„ als auch auf der „Minderheitenseite“) aufgewachsen. Dass ihr Vater von Ereignissen weiß, über die sonst niemand spricht und Erlebtem erzählt, dass nicht in Geschichtsbüchern steht, war ihr sehr früh klar. Heute – seit fast 25 Jahren fast durchgehend in Graz lebend – sagt sie, sie stamme aus einer deutsch-slowenisch schweigenden Familie.
(http://blog.schauspielhaus-graz.com/fragebogen-an-die-spielerinnen-aus-immer-noch-sturm-teil-1/)
 Peter Gstettner, Erinnerungskultur in Kärnten
Im Zentrum Stand, unverrückbar und scheinbar alternativlos, eine deutschnationale Geschichtsbetrachtung, die mehr oder weniger die Fortschreibung der Kärntner NS Geschichte war. Um dies zu kaschieren, wurden ausgewählte historische Ereignisse auf den für ideologiefrei erklärten Begriff der „Heimattreue“ abgestützt und in Form von Denkmälern, Landesfeiern, Festaufmärschen usw. einprägsam inszeniert. Auf diese Weise sollten jene Ereignisse im kollektiven Bewusstsein verankert werden, die ins herrschende Paradigma passten. ( Dr. Peter Gstettner, Loibl Saga, S. 95, kitab Verlag, 2015)
Die willkürliche Auslegung und Leugnung von geschichtlichen Tatsachen seitens offizieller Seiten, das Herauszögern/Unterlassen der Umsetzung von im Staatsvertrag niedergeschriebenem, das Verschweigen von Gräueltaten an der slowenischen Bevölkerung, oder aber auch, wie im Fall des Loibltales, das nicht zur Sprache bringen des KZ Außenlagers Mauthausen Loibl Nord bis Mitte der 90iger Jahre, lassen die Kluft innerhalb die Nachkriegsbevölkerung offen. Dafür jede Menge Schweigen, Unsicherheit einerseits und andererseits laute Stimmen, deren Inhalt Rattenfängerlieder sind.


VORGESCHICHTE

Die Karawankenrepublik, Ebene 3, Schauspielhaus Graz, Lesung
http://blog.schauspielhaus-graz.com/die-ebene-3-im-mai-juni/
Die Kärntner Partisanen waren die einzige Gruppe, die dem NS-Regime bewaffneten Widerstand leistete. 60 Jahre nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags ehren am 26. Mai Texte von Petra Kohlenprath u. a., gelesen von Evi Kehrstephan und Seyneb Saleh, ihren Mut in DIE KARAWANKENREPUBLIK in der Reihe TEXTE ZUR SACHE.
Das Schauspielhaus Graz wendet sich im Frühjahr 2015 an Petra Kohlenprath um ihre Erfahrungen und Sichtweise als Angehörige der Slowenischen Volksgruppe. Wie hätte sie von der Geschichte ihrer Familie erfahren? Welche Orte im Gedächtnis eine Rolle spielten? Was bedeuteten ihr die Sprachen Deutsch und Slowenisch?
Die Arbeit an dem Text gab Petra Kohlenprath den Impuls unter dem Titel INTERFERENZEN eine erste Intervention durchzuführen. Bereits diese erste Intervention erfolgte in mehreren Episoden.
 
Episode: Mai 2015 (Ebene: privat)

Brief an den 1973 verstorbenen Großvater

Episoden: 13. Juni 2015, Loibltal/Brodi 1, Kärnten (Ebene: ausgewählte Öffentlichkeit)
Episode: Der Besuch der Urenkelin
Das Ereignis findet am 6. November statt. Zur Ankündigung dessen trifft man sich am 13. Juni 2015 in Loibltal/Brodi 1. An dem Ort, an den am 6. November 1945 Pavl Kollenprat aus dem Krieg heimkehrte.
Episode: Improvisationen am Flügelhorn, Fredl Lang
Episode: Audioinstallation: Aus dem Gedächtnis einer slowenisch-deutsch schweigenden Familie

Einem scheinbar verlassenem Ort wurde eine neue Erinnerung zugeschrieben und einem verlorenen gegangenen Instrument eine Rolle in der Gegenwart gegeben.

Obisk pravnukinje
Leta 1896 je Miha Kohlnprat zgradil hišo v Brodi 1. Malo manj kot eno stoletje je bila za mnoge trajen ali začasen dom ali kraj kratkega postanka. Ob hiši in v njej so se ljudje skupno spominjali, se pogovarjali o dogodkih, se obveščali o novih dejstvih , si izmenjevali novice, delili veselje in bojazni. Od leta 1983 naprej je hiša prazna. Odslej ne sliši veliko različnih glasov. 13. junija bo spet odprla svoja vrata. V Gradcu živeča pravnukinja pride na obisk in soba ob potoku bo prisluhnila pripovedim iz njenega spomina. Gostje bodo tu. Ob hiši in v njej se bodo skupno spominjali, se pogovarjali o dogodkih, se obveščali o dejstvih, si izmenjevali novice, delili veselje in bojazni. S tem dnevom si bo kraj ustvaril nov spomin in navzoči ga bodo zapustili polni novih vtisov.

Der Besuch der Urenkelin
1896 errichtete Michael Kohlnprat das Haus Loibltal 1. Über ein knappes Jahrhundert hin war es für viele permanentes zu Hause, zeitweiliges Heim und Ort des kurzen Verweilens. Erinnerungen wurden geteilt, Ereignisse besprochen, Tatsachen entgegen genommen, Neuigkeiten erzählt, Freude und Ängste geteilt. Seit 1983 ist es nicht mehr bewohnt. Nur wenig unterschiedliche Stimmen kennt das Haus seither. Am 13. Juni öffnet das Haus seine Tür. Die in Graz lebende Urenkelin ist zu Besuch und das bachseitige Zimmer hört Erzählungen aus ihrem Gedächtnis. Gäste sind da. Erinnerungen werden geteilt, Ereignisse debattiert, Tatsachen entgegengenommen, Neuigkeiten erzählt, Freude und Ängste geteilt. Mit diesem Tag schreibt sich der Ort eine neue Erinnerung zu und die Menschen verlassen ihn voll neuer Eindrücke.