Literarische Durchsagen an Haltestellen
stadtkörper-textraum-nachtton
„Der Raum des Wartens. Das Geöffnete ist Zeit: um das Ding sich darstellen,
um seine Gesichter sich entfalten zu lassen.” (Hélène Cixous, Weiblichkeit in der Schrift)
Über alle an strategischen Straßenbahn- und Bushaltestellen installierten Lautsprecher, die üblicherweise für verkehrstechnische Störfall-Ansagen dienen, laufen LITERARISCHE DURCHSAGEN. Die Texte werden von ausgewählten Schriftstellerinnen speziell für dieses Projekt und diese Struktur entwickelt. Sie werden im Studio von den Autorinnen selbst gelesen, digital aufgenommen und nach einem zeitlichen Rhythmus für das Abspielen programmiert. Von einem zentralen Rechner, positioniert in der Leitzentrale, werden die audiofiles abends von 21-24 Uhr, zur halben und vollen Stunde mit je 3 Minuten Text abgerufen und über die Lautsprecher „veröffentlicht“. Die Lautstärke ist so gewählt, dass nur der unmittelbare Bereich der Haltestelle akustisch definiert wird.
Es werden ausschließlich Autorinnen eingeladen, um die Präsenz von weiblichen Stimmen im öffentlichen Raum zu verstärken, um Frauen-Stimmen Gehör zu verschaffen. Junge Frauen sind im öffentlichen Raum vor allem Projektionsflächen, Sex-Objekte der Werbung. Sie sind „das schöne Objekt zum Anschauen“ (Luce Irigaray). Als Objekte des männlichen Blicks sind sie
öffentliches Eigentum und Ware. Ältere Frauen, alte Frauen verschwinden von der Bildfläche. Was alle Frauen gemeinsam haben: sie werden nicht oder kaum gehört.
Die Texte können Fragen, Anweisungen, Verbote, (Verkehrs-)Regeln, Wünsche etc. sein, die sich an diejenigen richten, die sich im öffentlichen Raum bewegen.
Es können (Alp-)Träume, Bilder, Beschreibungen, Phantasien
von Räumen sein.
Die literarischen Formen können vom Gedicht bis zu Prosaformen, von der Liste über Litaneien, Lautliteratur, Wortspiele bis zum Bericht reichen.
„Und was machen die Frauen? Sie bilden Wege, Bahnen, damit die Stimm-Wege im Ohr spielen wie Ihr es hört, denn die Stimmen gehen vom Körper aus. … Es geht also um Stimm-Wege. Wie man weiß, ist die Stimme etwas vollkommen Unvorsehbares, sie zieht ihre Bahnen, schwingt im Raum, hält inne, sie kommt außer Atem oder schöpft Atem, sie ist endlos, d. h. sie hat kein Ziel, sie geht, sie will.“ (Hélène Cixous, Weiblichkeit in der Schrift)
Margret Kreidl, Schriftstellerin, Wien (Inhaltliche Leitung)